Wissenschaftliche Diskussion

Es gibt eine sehr umfangreiche Diskussion über den Begriff bzw. das Konzept von Nachhaltigkeit bzw. Nachhaltiger Entwicklung und es wäre vermessen, diese Diskussion hier umfassend darstellen zu wollen. Darum seien hier nur einige wenige Einblicke in die Diskussion mit einigen weiterführenden Links gegeben, welche die Bandbreite zeigen, um anschließend stärker darauf zu fokussieren, welche Aspekte der Diskussion für unsere Zwecke der Hochschullehre, im Bereich Lehrkräftebildung und darüber hinaus, besonders wichtig erscheinen.  

Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ 

Der Begriff „nachhaltig“ im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung ist zu unterscheiden vom Alltagsgebrauch des Wortes „nachhaltig“ im Sinne von dauerhaft. Auch im Bildungsbereich begegnet man dem Begriff nachhaltiges Lernen in einem anderen Sinne, nämlich im Sinne eines Lernens, das bewirkt, das das Gelernte dauerhaft verankert bleibt. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Begriff „nachhaltig“ heute, z.B. zum Zwecke der Werbung, geradezu inflationär verwendet wird, nicht selten ohne fundierten Hintergrund und sogar in irreführender Absicht (greenwashing). Darum ist es gerade auch in Bildungsprozessen wichtig, zu Beginn offenzulegen, was man darunter versteht. 

Gebräuchlich sind die Begriffe „Nachhaltigkeit“ sowie „Nachhaltige Entwicklung“. Entscheidend für die heutige globale Debatte ist die Verbindung der Umwelt mit der sozio-ökonomischen Entwicklung. Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (WCED; vgl. Hauff, 1987), die als „Brundtland Kommission“ bekannt wurde, wollte damit deutlich machen, dass die zunehmenden Umweltprobleme nicht nur Maßnahmen zur Erhaltung der Lebensgrundlagen fordern, sondern auch die Entwicklungsprobleme der verschiedenen Länder grundlegende Maßnahmen notwendig machen. Obwohl der Begriff Nachhaltige Entwicklung diese Verbindung und den Prozesscharakter angemessener betont, werden die Begriffe Nachhaltigkeit und Nachhaltige Entwicklung meist synonym verwendet. 

Bestrebungen einer Nachhaltigen Entwicklung

Entstehung des Leitbildes einer Nachhaltigen Entwicklung 

Oft wird die „Erfindung“ der Nachhaltigkeit der Forstwirtschaft im 18. Jahrhundert zugeschrieben, die damit eine sozio-ökonomische Praxis beschrieb, die die dauerhafte Nutzung der Ressource Holz ermöglichen sollte (vgl. Grober, 2010). Aber erst seit den 1970er Jahren entstand eine Debatte zur Verbindung von Umwelt und Sozioökonomie, deren erster Höhepunkt im Bericht „The Limits to Growth“ des Club of Rome (Meadows et al., 1972) zu sehen ist.  

Eine echte Begriffsbestimmung erfolgte dann im Rahmen des erwähnten Berichtes der Brundtland-Kommission (WCED, 1987). Zitiert wird meist nur der erste Teil: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“. Entscheidend ist aber, die unmittelbar folgenden Sätze mit einzubeziehen: „Zwei Schlüsselbegriffe sind wichtig: der Begriff von „Bedürfnissen“, insbesondere der Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt, die die überwiegende Priorität haben sollten; und der Gedanke von Beschränkungen, die der Stand der Technologie und sozialen Organisation auf die Fähigkeit der Umwelt ausübt, gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen” (Hauff 1987, 46). In dieser Kombination von inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit, der Priorität der Ärmsten und der Eingebundenheit von Menschen in ihre Umwelt mit den entsprechenden ökologischen Grenzen liegt der Kerngehalt von Nachhaltiger Entwicklung (vgl. Ott & Döring, 2008). Er ist keinesfalls beliebig, doch liefert er keine spezifischen Details, wie genau und im Einzelnen die dazugehörige Handlungspraxis aussehen kann und soll.  

Seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, die 1992 in Rio de Janeiro stattfand, ist Nachhaltige Entwicklung völkerrechtlich als globales Leitprinzip international akzeptiert. Konkrete Ansätze zu ihrer Umsetzung finden sich in der in Rio verabschiedeten Agenda 21. Der Ausgangspunkt der Konferenz waren die Zielkonflikte zwischen Umwelt und Entwicklung, insbesondere auf globaler Ebene. In der Agenda 21↗ selbst finden wir folgende Erläuterung (UNCED, 1992, S.1): 

„Präambel §1: Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Wir erleben eine Festschreibung der Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Nationen, eine Verschlimmerung von Armut, Hunger, Krankheit und Analphabetentum sowie die fortgesetzte Zerstörung der Ökosysteme, von denen unser Wohlergehen abhängt. Eine Integration von Umwelt- und Entwicklungsbelangen und die verstärkte Hinwendung auf diese wird indessen eine Deckung der Grundbedürfnisse, höhere Lebensstandards für alle, besser geschützte und bewirtschaftete Ökosysteme und eine sicherere Zukunft in größerem Wohlstand zur Folge haben. Keine Nation vermag dies allein zu erreichen, während es uns gemeinsam gelingen kann: in einer globalen Partnerschaft im Dienste der nachhaltigen Entwicklung.“ 

Konzepte und Verständnisse und Dimensionen einer Nachhaltigen Entwicklung 

In der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion, die seit den 1990er Jahren läuft, wurden im deutschsprachigen Raum sowie international sehr viele verschiedene Konzepte und Verständnisse von Nachhaltiger Entwicklung diskutiert. Weit verbreitet ist das Nachhaltigkeitsdreieck mit den drei Dimensionen – ökologische, ökonomische und soziale Dimension, die miteinander in Einklang gebracht werden sollen. Diese lassen sich aus der Agenda 21 ableiten, deren Ausgangspunkt die Umweltprobleme sowie Entwicklungsprobleme (wirtschaftlich, sozial) waren. Das Dreieck als solches findet sich dort noch nicht. Begrifflich falsch ist allerdings die ebenfalls weit verbreitete Aufteilung der drei Dimensionen in drei getrennte „Säulen“, denn der Kern der Idee Nachhaltiger Entwicklung beruht gerade darin, dass sich die Dimensionen erheblich gegenseitig beeinflussen und bedingen und eine Trennung dies ignoriert. Hier liegt überdies ein erhebliches didaktisches Problem für BNE vor, wenn unangemessene Modellbilder inhaltliche falsche Verständnisse befördern. Eine erste übersichtliche Darstellung der Konzepte bis 2015 findet man im Lexikon der Nachhaltigkeit | Wirtschaft | Konzepte↗.

Darüber hinaus spielt in der Diskussion die Unterscheidung zwischen schwacher und starker sowie ausgewogener Nachhaltigkeit eine große Rolle (Ott & Döring, 2008, Education 21: BNE). Grundsätzlich geht es bei ersteren beiden Ansätzen um die Möglichkeit der Ersetzbarkeit (Substituierbarkeit) des sog. Naturkapitals – also der natürlichen Ressourcen. Während es gemäß der schwachen Nachhaltigkeit möglich ist, das Naturkapital weitgehend oder gar vollständig durch Human- oder Sachkapital zu ersetzen, bestreitet dies der Ansatz der starken Nachhaltigkeit. Hier wird argumentiert, dass die Erhaltung der natürlichen Ressourcen im Sinne der lebenserhaltenden ökologischen Funktionen die Grundvoraussetzung für alle anderen anderen Entwicklungsfelder ist. Der Ansatz der ausgewogenen Nachhaltigkeit geht davon aus, dass die natürlichen Ressourcen zu einem gewissen Grad durch die anderen Kapitalarten ersetzt werden können. Lexikon der Nachhaltigkeit | Definitionen | Starke und schwache Nachhaltigkeit

Erkenntnisse aus den Bereichen der entwicklungspolitischen Bildung und des Globalen Lernens führten dazu, dass neben den drei o.g. Dimensionen eine vierte Dimension, nämlich die politische Dimension, verstärkt in die Diskussion eingebracht wurde. Aus diesem Grunde findet man in der von Engagement global (2007, 2016) herausgegebenen Publikation „Orientierungsrahmen für eine globale Entwicklung“ ein Viereck. In der Agenda 21 ist der wichtige Aspekt der politischen Dimension im Kapitel der Umsetzung enthalten. Andere Autoren (z.B. Stoltenberg, 2020) bringen eine kulturelle Dimension ins Spiel. Tatsächlich gibt es z.B. im Globalen Süden Nachhaltigkeitskonzepte mit eigenen Akzenten (Buen vivir; Fatheuer, 2011). 

Die beiden Gerechtigkeitsbegriffe, intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit, die bereits bei der Brundtland-Definition enthalten waren, und zusätzliche Dimensionen zu den drei üblichen (ökologisch, ökonomisch, sozial) darstellen, wurden in der Diskussion von einigen Autor*innen immer wieder besonders betont, so z.B. von Tremmel (2003) sowie Ott & Döring (2008). Auch Ekardt (2021) betont in seinem wissenschaftlichen Werk die Gerechtigkeit als leitendes Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung. 

Weitere Konzepte bereicherten die wissenschaftliche Entwicklung, so z.B. das viel beachtete Modell der Planetaren Grenzen (Rockström et al., 2009), das den globalen Zustand der wichtigsten physischen Ressourcen (Biodiversität, Klima, Trinkwasser, Stickstoff- und Phosphorkreisläufe etc.) zu quantifizieren und bewerten versucht. Es beschreibt die Grenzen und deren assoziierte Kipppunkte (tipping points), die nicht überschritten werden dürfen, ohne die ökologische Tragfähigkeit unseres Planeten zu gefährden. Ergänzt werden diese ökologische Dimensionen um sozio-ökonomische Kriterien in darauf aufbauenden Modellen wie dem „Donut“ (Raworth, 2012) oder dem „Wedding Cake“ (Griggs et al., 2013) die alle drei Aspekte Nachhaltiger Entwicklung operationalisieren (Folke et al., 2016). Sie sind dabei nicht zufällig den Sustainable Development Goals sehr ähnlich. 

Strategien einer nachhaltigen Entwicklung 

Für den Bildungsbereich sind die Strategien, wie eine Nachhaltige Entwicklung erreicht werden kann (vgl. Ott & Döring, 2008) wichtig zu reflektieren (vgl. z.B. Huber, 1994; Seybold, 2015): 

1. Effizienz
2. Konsistenz
3. Suffizienz

Die Effizienzstrategie intendiert ein besseres und rationelleres Nutzen von natürlichen Rohstoffen durch technologische Verfahren und letztlich der Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Bedürfnisbefriedigung. Die Konsistenzstrategie zielt auf eine bessere Anpassung der Stoff- und Energieströme an die Regenerationsfähigkeit von Ökosystemen. Dies geschieht vor allem durch eine verstärkte Nutzung nachwachsender Rohstoffe und den Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft. Die Suffizienzstrategie intendiert eine Veränderung der Lebensstile und fragt dabei, welche Bedürfnisse Menschen wirklich für ein gutes Leben haben (sollten). Das impliziert eine Abkehr von konsumistischen Lebensstilen und die Betonung von Genügsamkeit vor allem in den Ländern des Globalen Nordens bzw. überall dort, wo entsprechende Lebensweisen vorliegen. Diese Strategien, die auch kombiniert eingesetzt werden müssen, bieten als diskussionsfördernde Lösungsansätze gutes Potential für den Bildungsbereich. 

Fazit

Bei der Konzeption von Lehrveranstaltungen hat sich eine Orientierung an den wesentlichen Dimensionen einer Nachhaltigen Entwicklung bewährt. Mit Bezug auf die intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit, die Bedürfnisse der Ärmsten sowie die planetaren Grenzen sind die ökologischen, ökonomischen und sozialen (einschließlich Politik und Kultur) Dimensionen integriert zu berücksichtigen und reflektieren. Spezifischere Aspekte und Konzeptionen können und müssen je nach Ausrichtung der Veranstaltung und Zielgruppe selbstverständlich mit eingebracht werden. 

Literatur:

Aachener Stiftung Kathy Beys (Hrsg.). (2015). Nachhaltige Entwicklung. Lexikon der Nachhaltigkeit. https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/forum_nachhaltige_entwicklung_627.html

Beule/Seybold. (2015). Nachhaltigkeit lehren. Leitfaden zum Kompetenzaufbau bei Lehrenden und Multiplikatoren. KUMI BaWü.(Hrsg.) https://naturparkschwarzwald.blog/detektive/wp-content/uploads/2020/12/Nachhaltigkeit-lehren-.pdf

Ekardt, F. (2021). Theorie der Nachhaltigkeit. Nomos, 3. Auflage. Baden-Baden.

Fatheuer, T. (2011). Buen Vivir. Eine kurze Einführung in Lateinamerikas neue Konzepte zum guten Leben und zu den Rechten der Natur. Band 17 der Schriftenreihe Ökologie. Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin.

Folke, Carl; Biggs, Reinette; Norström, Albert V.; Reyers, Belinda; Rockström, Johan (2016): Social-ecological resilience and biosphere-based sustainability science. In: Ecology and Society 21 (3). Online verfügbar unter https://www.ecologyandsociety.org/vol21/iss3/art41/, zuletzt geprüft am 18.10.2021.

Griggs, D., Stafford-Smith, M., Gaffney, O., Rockström, J., Öhman, M.C. & Shyamsundar, P. et al. (2013). Sustainable development goals for people and planet. Planetary stability must be integrated with United Nations targets to fight poverty and secure human well-being, argue David Griggs and colleagues. In Nature 495. 21.03.2013. (S. 305–307). https://www.nature.com/articles/495305a

Grober, U. (2010). Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. Verlag Antje Kunstmann. München.

Hauff, V. (Hrsg.). (1987). Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Eggenkamp Verlag. Greven.

Hellberg-Rode G. & Schrüfer G. (2016). Welche spezifischen professionellen Handlungskompetenzen benötigen Lehrkräfte für die Umsetzung von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)? ZDB Zeitschrift für Didaktik der Biologie. 20(1). (S. 1-29).

Huber, J. (1994). Nachhaltige Entwicklung durch Suffizienz, Effizienz und Konsistenz. In Fritz, P. et al. (Hrsg.). Nachhaltigkeit in naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive. (S. 31-46). Stuttgart.

Meadows, D., Meadows, D., Randers, J. & W. Behrens III, W. (1972). The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind. Universe Books. New York.

Döring, R. & Ott, K. (2008). Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit. 2. überarb. Auflage. Metropolis Verlag. Marburg.

Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, Å., Chapin, F. S. III. & Lambin, E. et al. (2009): A safe operating space for humanity. Identifying and quantifying planetary boundaries that must not be transgressed could help prevent human activities from causing unacceptable environmental change, argue Johan RockstrÖm and colleagues. In: Nature 461. 24.09.2009. (S. 472–475). https://www.nature.com/articles/461472a

Seybold, H. (2015). Nachhaltige Entwicklung als Leitbild. Nachhaltigkeit lernen. Modul 2. https://www.nachhaltigkeitsstrategie.de/fileadmin/Downloads/Publikationen/Bildung/Lehrende/Modul_2_Nachhaltigkeit-lernen.pdf

Stoltenberg, U. (2020). Kultur als Dimension eines Bildungskonzepts für eine nachhaltige Entwicklung. KULTURELLE BILDUNG ONLINE. https://www.kubi-online.de/artikel/kultur-dimension-eines-bildungskonzepts-nachhaltige-entwicklung

Tremmel, J. (2003). Nachhaltigkeit als politische und analytische Kategorie. Der deutsche Dis­kurs um nachhaltige Entwicklung im Spiegel der Interessen der Akteure. oekom Verlag. München.

United Nations Conference on Environment and Development (UNCED). (1992). AGENDA 21 Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung. Rio de Janeiro. https://www.un.org/Depts/german/conf/agenda21/agenda_21.pdf

World Commission on Environment and Development (WCED). (1987). Our Common Future. Oxford. Oxford University Press. https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/5987our-common-future.pdf

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